Der violette Tod und andere Novellen by Gustav Meyrink
Autor:Gustav Meyrink [Meyrink, Gustav]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Literature & Fiction, Contemporary, Religion & Spirituality, Occult, Foreign Languages, German, Health & Family, History, Contemporary Fiction, Foreign Language Fiction
ISBN: 9781465524195
Google: 1yE53iL0kQAC
Herausgeber: Renovamen Verlag
veröffentlicht: 1922-01-14T23:00:00+00:00
Das Fieber
Alchimist: Wer bist du, trübes Ding im Glase hier, sag an. Der Stoff in der Retorte: Ater corvus sum.
Es war einmal ein Mann, den verdroß die Welt so sehr, daß er beschloß, im Bette liegen zu bleiben. Jedesmal, wenn er aufwachte, wälzte er sich auf die andere Seite, und so gelang es ihm, jedesmal noch ein bißchen weiterzuschlafen.
Aber eines Tages ging es durchaus nicht mehr. Es ging nicht mehr und ging nicht mehr.
Da lag der Mann im Bette und blieb ganz unbeweglich, aus Furcht, es werde ihn frösteln, wenn er seine Lage verändere.
Von seinem Kopfkissen aus war er gezwungen, durch das Fenster ins Freie zu sehen, und eben jetzt, wo er ganz ausgeschlafen war, ging es dem Sonnenuntergang zu.
Eine breite, goldgelbe Wunde klaffte quer über den Himmel unter einem dunkeln Wolkenkopf hervor.
Es geht nicht an, gerade um diese unglückselige Stunde herum aufzustehen, sagte der Mann zähneklappernd — und fürchtete sich noch mehr vor dem Frösteln als vorher — auch für einen, den das Leben nicht so verdrießt, wie mich.
Elend stierte er wieder in das Abendgelb unter dem glimmenden Nebelsaum.
Eine schwarze Wolke hatte sich losgetrennt, wie ein geschwungener Flügel geformt, mit befiedertem Rand.
Da kroch langsam im Hirn des Mannes — mit den flaumigen Umrissen eines pelzigen Muffs eine Erinnerung an einen Traum aus ihrer Höhle heraus. An einen Traum von einem Raben, der ein Herz ausgebrütet.
Und die ganze Zeit seines Schlafes über hatte er sich mit diesem Traum herumgeschlagen. Dessen war sich der Mann jetzt deutlich bewußt.
Ich muß es herausbekommen, wem dieser Flügel gehört, sagte er, stieg im Hemd aus dem Bett — und die Treppe hinunter auf die Straße. Immer weiter ging er so, immer dem Sonnenuntergang zu.
Die Leute aber, denen er begegnete, raunten: „Pst, pst, leise, leise, er träumt doch alles bloß!“
Nur der beeidete Hostienbäcker Vrieslander glaubte sich einen Spaß machen zu dürfen. Er stellte sich ihm in den Weg, spitzte den Mund und machte runde Augen wie ein Fisch. Sein dünner Schneiderbart schien noch gespenstischer als sonst. Mit den magern Armen und Fingern machte er eine verrenkte sinnlose Geste und verdrehte die Beine ganz seltsam. „Ssst, ssst, nur gemach, hörst du,“ flüsterte er dem Manne giftig zu, „ich bin das Kichern, weißt du, das Kich...“ und schnellte plötzlich das spitze Knie zur Brust empor, riß den Mund auf und wurde bleifarben im Gesicht, als habe ihn mitten in seiner tänzelnden Stellung der Tod ereilt.
Dem Manne im Hemde sträubte sich das Haar vor Grauen, und er lief aus der Stadt hinaus. — — Über Wiesen und Stoppelfelder, immer dem Sonnenuntergange zu, und immer mit bloßen Füßen.
Zuweilen trat er auf einen Frosch.
— — — — Erst in der Nacht, als sich längst der glühende Riß am Himmel wieder geschlossen, erreichte er die weiße, langgestreckte Mauer, hinter der der Wolkenfittich verschwunden war.
Er setzte sich auf einen kleinen Hügel. Ich bin hier auf dem Friedhof, je nun, sagte er sich und sah um sich, je nun, das kann ein arger Kitsch werden. Aber ich muß doch erfahren, wem der Flügel eigentlich
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